[Ich
entschuldige mich im Voraus für die Länge dieses Artikels, aber mit einer Tasse
Kaffee lässt er sich vielleicht trotzdem ganz gut lesen]
Die französischen Studierenden
haben zu nehmen. Sie haben zu nehmen – egal was man ihnen gibt. Und sie nehmen
es, ohne einen Mucks der Widerrede von sich zu geben. Lernen à la francaise,
das bedeutet apprendre = à prendre = zu nehmen [Für all jene Linguisten unter
euch : nein, ich habe keine Ahnung woher das Wort apprendre kommt, aber
dass das Wort „prendre“, also „nehmen“, darin steckt, ist mir jetzt ein
willkommener Zufall.]
Die französische und die deutsche
Kultur sind sich sehr ähnlich. Das habe ich bisher so gesehen. Was die
Lernkultur angeht, finde ich allerdings immer mehr gravierende Unterschiede. Im
französischen Notensystem gibt es keine Noten von 1-6, sondern es gibt Punkte
von 1-20, wobei 20 natürlich das Optimum ist. Und eben deshalb, weil 20 Punkte
Perfektion ausdrücken, werden diese hier aus Prinzip nicht verteilt. Man kann
nicht perfekt sein, lautet die Devise, und das allein ist ja auch eine tolle
Idee, die man heutzutage nur noch viel zu selten hört und verteidigt (und
besonders eine Idee, die ich mir öfters mal zu Herzen nehmen muss).
Diese Idee hat hier aber eindeutig
ihr Ziel verfehlt. Das, was die französische Universitätsmaschinerie
produziert, sind eingeschüchterte Studierende, denen – zumindest was deren
Wissen angeht – jede Art von Selbstvertrauen fehlt. Gründe dafür gibt es
zahlreiche:
1. ein völlig unlogisches Notensystem
16/20 Punkten, das ist hier das
Non-Plus-Ultra, das ist „excellent“, wie eine unserer Professorinnen uns
letztlich erklärte. Im gleichen Atemzug legte sie uns Nahe, uns schon einmal
auf weitaus schlechtere Ergebnisse einzustellen: Die Professoren seien
angewiesen, die Noten zu drücken, da es zu viele Studenten in Frankreich gäbe,
hieß es. Und die Franzosen seien schon über eine 10, d.h. bestanden,
unglaublich glücklich.
Aus eigener Erfahrung kann ich
sagen, das sind sie wirklich. Was in Deutschland als eine „4“ als wertlos gilt,
ist in Frankreich der Hauptgewinn.
2. viel zu schwierige Kurse
Zu der Anweisung an die Dozenten,
die Noten der Studierenden niedrig zu halten, gehört offensichtlich auch die
Anweisung, übermäßig anspruchsvolle Kurse zu geben. In den meisten Kursen hier
herrscht seitens der Franzosen blanke Überforderung. Die einzigen, die in den
zahlreichen Seminaren zum Unterricht beitragen (können), sind wir. Erst dachte
ich, vielleicht trauen sich die Franzosen durch unsere Beiträge nicht mehr,
etwas zu sagen. Aber in Gesprächen fand ich heraus dass, würden wir nichts
sagen, keiner im Seminar etwas sagen würden – außer natürlich dem Dozenten. Und
damit kommen wir zum nächsten Punkt.
3. herablassende Dozenten
Der französische Dozent ist,
auffallend häufig, eine Autoritätsperson, der keine Widerrede zu leisten ist,
die Wissen diktiert und die keinen Austausch zwischen sich und den Studierenden
erlaubt. Diese Hierarchie führt gelegentlich sogar dazu, dass Studierende
beleidigt oder einfach respektlos behandelt werden. Diese schlucken das –
natürlich.
Und weil sie dies alles schlucken,
weil sie jeden Tag aufs Neue erfahren dass, egal wie viel sie tun, ihre Arbeit
nie auch nur annähernd perfekt sein kann (auch 17, 18 oder 19/20 Punkten werden
nie vergeben und existieren nur in der Theorie), weil ihre Fehler, wenn sie
sich dann doch einmal trauen, etwas zu sagen, nicht hilfreich sondern
herablassend korrigiert werden, haben sie auch keine Möglichkeit, sich zu
verbessern. Nur wer Fehler macht kann lernen. Fehler sind hier aber unerwünscht
- Perfektion ist dennoch unerreichbar.
Paradox ist das alles. Und
undurchdacht und ineffektiv.